Rassismus in den Kulturinstitutionen - Wenn Strukturen oder Machtfragen verändert werden müssen, kommen plötzlich die Gegenargumente.

Am Samstag, 11. Juni 2022, fand im Rahmen von FS#9 - Vertrauen eine Podiumsdiskussion mit anschliessendem Workshop statt. Dabei teilten Kulturschaffende ihre Rassismuserfahrungen und es wurde über Widerstandsmomente, Antirassismus-Klauseln und Schockstarren diskutiert.

Video-Aufzeichnung

Das mit den Erwartungen ist so eine Sache. So hat man eigentlich das Gefühl, ja die Erwartung, dass die hiesigen Kulturbetriebe und -Institutionen bezüglich Rassismus bereits sensibilisiert sind. Dass sie sich der Problematik annehmen – oder sich derer zumindest bewusst sind. Denn: In der Kunst und Kultur spiegeln sich gesellschaftliche Debatten wider, sie bieten Reibungsflächen zur Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit. Und dann war da dieser Kreis, in dem etwa ein halbes Dutzend Frauen sassen. Alle PoC, alle kulturschaffend und alle mit ihren ganz eigenen, persönlichen Erlebnissen in Zusammenhang mit Rassismus. Apropos Erwartungen: Am Ende dieses Kreises hatte die Autorin dieses Beitrags Gänsehaut – was sie nicht erwartet hatte.

«Ich bin neu in der Funktion als Produktionsleiterin in der Theaterszene und die einzige PoC an meinem Arbeitsort. Manchmal frage ich mich: Why the fuck am I here. Ich verstehe nicht, was ich sehe. Selbst Stücke für Poc‘s sind am Ende meistens doch für ein weisses Publikum konzipiert. Ich sehe Cultural Appropriations en masse. Was ich mir wünsche? Einen Moment der Ruhe. Dass ich einfach arbeiten gehen kann, ohne die ganze Zeit getriggert zu werden. Ich bin erschöpft und brauche Zeit.»

«Kulturbetriebe, die PoC ins Programm aufnehmen, müssen sich im Klaren darüber sein, weshalb sie uns Künstler:innen einladen. Wenn wir nur dazu da sind, das Programm spicy und ein bisschen inklusiver zu machen, ist das nichts anderes als Black Trading. Wenn du mich nicht verstehst: Don’t invite me. Ich habe schon öfters erlebt, dass man meine Aussagen nicht ernst genommen hat. Dass man mir angedroht hat, mich dann halt einfach zu ersetzen, sollte ich für die geplante Zeit kein Visum erhalten. Da hatte ich das Gefühl: Es geht gar nicht um mich als Künstlerin.» Künstlerin Va-Bene

«An einem Workshop liess eine Person das N-Wort fallen. Alle Menschen um mich herum zeigten sich betroffen, ermutigten mich, die Person, die in der Hierarchie notabene höher war als wir, darauf anzusprechen. Als ich bei dieser ankam, blickte ich mich kurz um. All jene, die mich zuvor noch gepusht hatten, waren plötzlich verschwunden. Ich musste die Situation alleine meistern. Am Ende hiess es dann von allen: So gut, hast du was gesagt. Für mich war aber klar: Ihr habt es zu meinem Job gemacht, die Situation zu klären – ganz alleine. Ich hätte aber eure Solidarität genau dann gebraucht.»

Die Antwort auf die Frage, was es bedeutet, eine Schwarze Künstler:in oder Kulturschaffende zu sein, lautet wohl: Genau das. Auch im Fairspec-Podium «Vertrauen», das vor diesem intimen Kreis stattfand und an dem auch zahlreiche Vertreter:innen diverser Institutionen teilnahmen, wurde über die strukturellen Hürden für Schwarze Personen in der Kunstindustrie an Häusern und in der freien Szene diskutiert. «Wir sind hier, um über unsere Rassismuserfahrungen zu sprechen», eröffnete Brandy Butler, Performerin, Aktivistin und Ensemblemitglied am Theater Neumarkt, die Diskussion. In der von ihr moderierten Runde sassen zudem Pascale Altenburger, Tänzerin, Tanz-Vermittlerin, Choreografin und Aktivistin, Mandy Abou Shoak, Soziokulturelle Aktivistin, Menschenrechtlerin, Podcasterin und Diversitätsberaterin sowie Yuvviki Dioh, Agentin für Diversität am Schauspielhaus Zürich.

Wenn du auf als PoC auf der Bühne stehst …

Brandy: «Zuerst ist da der Moment der Freude: Du bist eingeladen, an einem Kulturhaus mitzuwirken. Und irgendwann kommt die Enttäuschung, der Moment, wo du die ersten Rassismuserfahrungen machst …»

Pascale: «Ich habe in einer Produktion eine Saison lang an einem Theaterhaus getanzt, was ich zu Beginn toll fand. Ich hatte einen fixen Lohn, eine Garderobe, einen Physiotherapeuten im Haus – einfach all die Basics, die mir als freischaffende Künstlerin schon fast als Luxusgut vorkamen. Doch irgendwann fiel mir auf: Menschen, die mit ihrem Körper arbeiten, sind in der Hierarchie zuunterst. Gerade bei Operetten, in denen alte weisse Männer das Sagen haben. Wenn wir tanzten, war das für Einige klar eine Aufforderung für Übergriffe.»

Brandy: «Als ich dem Ensemble des Theater Neumarkts beigetreten bin, merkte ich: Die Maskenbildner:innen sind nicht dafür ausgebildet, meine Hautfarbe korrekt zu schminken. Am Ende stand ich auf der Bühne und die Farbe der Schminke auf meinem Gesicht passte nicht zum Rest meines Körpers. Erst als ich laut wurde, hörte man mir zu und es kam Bewegung in die Sache.»

Pascale: «Noch heute gibt es an gewissen Theaterhäusern kein Make-up für uns PoC, wir müssen es selber kaufen – immerhin wird es bezahlt. Auch in meinen Ballettstunden war es nicht anders: Die Strümpfe waren beispielsweise rosa, was offensichtlich nicht zu meiner Hautfarbe passte. In der Operette in der ich tanzte war ich übrigens die einzige PoC – und sie haben alles versucht, dass ich nicht zu dunkel aussehe.»

Was hinter den Kulissen passiert …

Yuvviki: «Ich berichte aus der organisatorischen Perspektive. Zu Beginn war die Freude gross, gleich nach der Uni einen unbefristeten Job zu bekommen. Mir war aber immer bewusst, dass ich mit Mikro-Aggressionen und anstrengenden Gesprächen konfrontiert sein werde. Ich hatte keine rosarote Brille auf, sondern versuchte stets aktiv und bewusst zu verstehen, wo ich mich befinde. Es passierten dann auch schnell diese zwischenmenschliche Situationen: Ich lernte alle Menschen dieser für mich neuen Institution kennen. Wir verstanden uns gut – bis ein problematisches Wort oder eine schwierige Aussage fiel. Ich versuchte dann stets, Sensibilisierungsarbeit zu leisten und für mich festzuhalten, wo die Probleme liegen, wenn die Leute dies oder jenes denken oder glauben, dass sie mir gewisse Dinge sagen können. Es war weniger Enttäuschung, mehr ein Realisieren wo welche Arbeit wirklich ansteht.»

Mandy: Was sich durchzieht in meiner Tätigkeit als beratende und begleitende Person in Kunst- und Kulturinstitutionen ist dieser Begriff Diversität, der wenig über Diskrimierung sagt. Diversität gilt als Begriff von Vielfalt und Akzeptanz und dabei geht oft vergessen, dass er auch immer etwas mit Hierarchie zu tun hat. Diskrimierung bedeutet auf der einen Seite die Privilegierung und auf der anderen die Diskriminierung von Menschen. Und während Ersteres oft unsichtbar bleibt, ist Letzteres sichtbar. Oft sind es Situationen, in denen gewisse Fragen nicht gestellt werden oder wir als Schwarze Menschen zwar gewisse Fragen stellen, die dann aber nicht ernst genommen werden. Situationen, in denen die Dinge unsichtbar bleiben, weil wir einzelne Menschen sind in diesen Betrieben – und uns dadurch die Wichtigkeit abgesprochen wird, weil unsere Anliegen als individuelles Problem angesehen werden und nicht als kollektives, strukturelles. Schon alleine aufzuzeigen: Das sind die Fragen, die wir uns stellen müssen und darauf zu bestehen, dass diese Fragen im Raum bleiben, erlebe ich als einen der grossen Kämpfe.»

Die Sache mit dem Selbstschutz …

Yuvviki: Ich bin mir kleinere Verletzungen gewohnt, versuche aber auch, sie im Rahmen meiner Aufgabe zu kontextualisieren und zu nutzen. Dies soll nicht «toxic positiv» sein. Für mich ist es eine Art Selbstschutz zu sagen: Gut, es ist passiert und wir bearbeiten das nun auf eine andere Art.»

Pascale: «Ich muss mir immer wieder sagen: Es ist nicht mein Problem. Viele meinen, mit dem Besuch eines Antirassismus-Workshops sei die Sache vom Tisch. Manche der Teilnehmer:innen bombardierten mich danach jeweils mit persönlichen Fragen. Ich musste erst lernen zu kommunizieren: Ihr macht diese Arbeit für euch, nicht für mich. Ich habe die Gräben aufgemacht und brauche nun eine Pause. Bildet euch selber weiter. Eure Arbeit beginnt nämlich erst.»

Die Erfolgsmomente in Bezug auf die eigene Schwarze Identität …

Yuvviki: «Es sind die kleinen Erfolgsmomente, die mir derzeit so einfahren. Wenn ich zum Beispiel einen alten weissen Mann aus der Technik für eine Besprechung treffe, dessen Haltung ein bisschen «grumpy» ist, weil er das so gelernt hat. Und ich mich dann so lange in den Widerstand begebe, bis er mir zuhört. Ein weiteres Beispiel: An der Premiere des Theaterjahres im Rahmen des Blickfelder Festivals zum Thema Körper gab es einen sehr kraftvollen Moment. Zwei schwarze Darstellerinnen sassen an einem Tisch, waren elegant angezogen und hatten einen Drink vor sich, im Hintergrund lief Black Music – sie haben auf dieser Bühne einfach nur existiert. Es war reinste Black Joy und ich fühlte: This is our Space now. Dieser Widerstandsmoment, den diese jungen Menschen am Schauspielhaus Zürich einfach so hingeklatscht haben, war riesig!

Brandy: «Als ich das gesehen habe, dachte ich mir auch: The Kids are ok. Ich hatte übrigens auch einen kleinen Erfolgsmoment. Jemand stellte im Theater rassistische Süssigkeiten auf den Tisch. Das triggerte mich natürlich gleich. Ich bat eine Person, die Angelegenheit für mich zu klären, weil ich zu diesem Zeitpunkt einfach nicht konnte. Am nächsten Tag kam bereits eine Entschuldigung, die Problematik war der anderen Person nicht bewusst gewesen. Für mich war das ein Gewinn-Moment: Meine Message ist angekommen, sie haben mich ernst genommen.»

Mandy: «Ich finde es schwierig, über Erfolge zu sprechen, denn diese messen sich daran, was man als Erfolg sieht. Es hat vieles damit zu tun, dass die Politisierung in Bezug auf Rassismus eine gewisse Prozesshaftigkeit hat. Der Moment, in dem man feststellt: Diese Erfahrung ist nicht individuell, sondern kollektiv. Es ist bereits ein Erfolg, Dinge zu benennen. Wütend sein zu dürfen ist auch ein Erfolg, sich dafür zu entscheiden, Dinge nicht tun zu müssen ist ein Erfolg, sich zu widersetzen ebenfalls.

Ich merke aber, dass es vor allem ein Erfolg ist, wenn sich Menschen zusammenschliessen. Wir leben in einer Gesellschaft die suggeriert, dass wir alleine sehr Vieles erreichen können und gerade wenn wir über Rassismus sprechen kommen in ganz vieler Hinsicht strukturelle Probleme auf. Zum Beispiel habe ich vor kurzem eine Podcast-Reihe produziert unter dem Titel «20 Stimmen zu Rassismus». Darin sagte ein Experte, dass Fachstellen wie die eidgenössische Kommission gegen Rassismus oder die Fachstelle für Rassismusbekämpfung zwar schön und gut seien, aber nichts bringen würden, weil sie nicht weisungsbefugt sind. Und wenn solche Stelle nicht weisungsbefugt sind und die Menschen sich nicht zusammenschliessen, dann ist in der Tat ziemlich wenig machbar. Denn weder eine AHV wurde erreicht, weil eine einzelne Person sich eingesetzt und gewehrt hat noch eine Unfall- oder Mutterschaftsversicherung. Es waren viele Geschichten, viele Menschen, die sich zusammengeschlossen haben und deshalb erfolgreich waren. Deshalb ist für mich der Zusammenschluss, die Verbündung zwischen weissen und schwarzen Menschen, ein erfolgreicher Widerstand.»

Braucht es in den hiesigen Institutionen eine Antirassismus-Klausel?

Mandy: «Mich beschäftigt immer wieder der Moment, wenn in einer Kulturinstitution etwas Rassistisches oder Diskriminierendes passiert – und alle in eine Schockstarre verfallen. Wir müssen uns fragen, wie es dann weitergehen soll und was es für Ansätze gibt, damit es wiedergutgemacht wird. Es sind transformative und restorative Möglichkeiten vorhanden, doch es fehlt noch an einigen Dingen, um diese konkret umzusetzen.»

Yuvviki: «Eine Antirassismus-Klausel ist für mich ein Instrument, das zwar nicht verhindern kann, dass Rassismus passiert, die aber den arbeitsrechtlichen und gesetzlichen Rahmen setzen kann, wie wir damit umgehen. Es wird jedoch nicht einfach, diese umzusetzen, doch ich bin bereit dafür. Ich finde zudem, dass wir diese Klausel in grundsätzliche strukturelle Veränderungen einbetten müssen. Die Lösungen müssen weiter gedacht werden. Auch für jene, die unentgeltlich Antirassismus-Arbeit leisten, welche die eigentliche Arbeit extrem einschränkt.»

Pascale: «Fakt ist aber auch, dass wenn es in der freien Szene zu kompliziert wird, man nicht mehr engagiert wird. Die Künstler:innen fürchten sich vor einem Wettbewerbsnachteil, wenn sie mit einer solchen Vereinbarung an die Vorsprechen kommen. Einige haben dies bereits versucht und dann gehört: Zu kompliziert, das schränkt uns künstlerisch ein.»

Wenn Rassismus offen benannt wird…

Yuvviki: «Wenn man das Thema auf den Tisch packt und erklärt, was die einzelne Person damit zu tun hat – dann entsteht oft ein Verteidigungsmodus, auf vielen verschiedenen Ebenen. Schwierig wird es vor allem dann, wenn es um die Veränderung des Verhaltens dieser Person geht. Auf intellektueller Ebene oder kognitiv versteht diese die Dinge zwar, doch wenn es darum geht, dass fundamental Strukturen, Positionen oder Machtfragen verändert werden müssen, kommen plötzlich die Gegenargumente. Selbst wenn Rassismus in einem Workshop thematisiert wird, also in einer oft wohlwollend gerahmten Lernsituation, tun sich auch da einige sehr schwer, sich in diesem Diskurs zu verorten und ernsthaft damit auseinanderzusetzen. Eine andere Problematik zeigt sich, in dem es oft heisst: Ich habe doch dieses Buch dazu gelesen und jenen Podcast gehört, ich weiss es doch jetzt. Sie merken aber nicht, dass das noch nicht reicht.»

Wie gelangt man vom Minimum an Engagement zum Maximum?

Yuvviki: Ich beginne zu verstehen, dass wir nicht alle mitnehmen müssen. Vor allem nicht jene, die sich kategorisch verweigern und schlichtweg einfach nicht wollen. Es ist wichtig, dass es nicht zu meiner Aufgabe wird, Einzelne zu überzeugen, sondern mit jenen, die wirklich eine Veränderung vorantreiben wollen, zusammenzuarbeiten.»

Währenddem PoC-Kulturschaffende sich nach dieser Diskussion in eine vertraute Runde setzten, setzten sich die restlichen Anwesenden zu einem Antirassismus-Workshop zusammen. Ganz zum Schluss trafen beide Gruppen wieder aufeinander und erzählten kurz, was sie an diesem Morgen besonders bewegt hat.

«Es ist so verletzend, was meine Kolleginnen noch immer erleben. Ich gebe das Verspreche ab, dran zu bleiben. Ich werde scheitern – wieder aufstehen und es erneut versuchen.»

«Für mich ist es wichtig, dass die Institutionen keine Angst haben vor dem Wort Rassismus. Dass sie sich kritisch betrachten, sich selber Fragen stellen und nicht nur nach Aussen schauen. Dass sie sich fragen: Wo kann ich was ändern und sich überlegen: Weshalb laden wir die Künstler:innen ein? Und dass sie geladene PoC-, LGBTQ- oder disabled Personen nicht alleine im Raum stehen lassen, sondern einen Safe Space für sie kreieren.»

«Ich wünsche ich mir mehr Mut, um unangenehme Situationen auszuhalten und nicht davonzulaufen.»

«Seht Diversität auch als Mehrwert und nicht nur als Forderung.»

«Ich freue mich darauf, wieviel besser die Kultur wird und wie viel geilere Theater wir machen werden, wenn wir es schaffen, miteinander umzugehen.»

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