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Künstler:innen der freien darstellenden Künste in der Deutschschweiz sowie Vertreter:innen von Institutionen und Förderstellen haben sich 2020/21 an einer Reihe von Veranstaltungen der Initiative FAIRSPEC mit dringlichen sozialen, künstlerischen und zeitgenössischen Fragen auseinandergesetzt, um einen gemeinsamen Kodex zu entwickeln.

Dieser Kodex benennt die wesentlichen Leitmotive, die für unsere zukünftige Arbeit wegweisend sind. Sie umfassen persönliche Kompetenzen, Aspekte der Kommunikation und der Zusammenarbeit, sowie die Verpflichtung, die Richtgagen von Berufsverbänden einzuhalten.

Im Mittelpunkt steht die künstlerische Arbeit. Jeder künstlerische Prozess ist auch ein sozialer Prozess. Damit einher geht eine hohe Verantwortung sowohl hinsichtlich der künstlerischen Freiheit als auch des umsichtigen Miteinanders.

Wir, die Unterzeichnenden, verpflichten uns in diesem Kodex auf Richtlinien, welche unsere Werte widerspiegeln und die für alle Beteiligten gleichermassen gelten. Wir erhoffen uns, dass dieser Kodex in möglichst viele Arbeitskonstellationen sowohl in der freien Szene als auch an subventionierten Häusern hineingetragen wird und damit eine von Respekt und Gerechtigkeit geprägte Wirklichkeit schafft.

Der Kodex besteht aus drei verbundenen Bereichen, in denen die wesentlichen Leitmotive unserer Arbeit benannt werden, die wir im Sommer 2021 festgehalten haben.

1. PERSÖNLICHE LEITMOTIVE

empathie

Empathie ist die Voraussetzung für alle persönlichen Kompetenzen und Handlungen. Bewusstes Zuhören ist Ausdruck von Respekt und Schlüssel zu Zusammenarbeit und gemeinsamem «Flow». Auch Solidarität und Hilfsbereitschaft gehören zu einem gelungenen Prozess.

Wir übernehmen Verantwortung für unser Handeln. Achtsamkeit, Sensibilität und Verantwortung bedingen einander. Wir sind uns der Rechte und Pflichten unserer Aufgaben bewusst. Wir nehmen Schieflagen wahr und sprechen sie an. Wir erkennen Privilegien und wissen, dass Inklusion nur entsteht, wenn wir bereit sind, Privilegien abzugeben.

reflexionselbst-

Uns ist bewusst, dass dieser Kodex nicht alle bestehenden Strukturen verändern oder verbessern kann. Deshalb entwickeln wir laufend unser Bewusstsein für die eigenen Machtpositionen und bestehende Abhängigkeitsverhältnisse. Wir reflektieren und nutzen Macht so, dass wir andere fördern, statt ihnen zu schaden. Unsere Institution oder Gruppe überprüfen wir regelmässig auf exkludierende Strukturen und verbessern die Zugänglichkeit in Zusammenarbeit mit Betroffenen.

2. KOMMUNIKATION

TRANSPARENZ

Informationen sind allen Beteiligten gleichermassen und ohne Abstufung zur Verfügung zu stellen, um Mitdenken zu ermöglichen und Kontrollfunktionen wahrzunehmen. Wir sprechen Tabus an und halten Konflikte aus. Transparenz bedeutet auch, den Mut aufzubringen, einen Konflikt frühzeitig anzusprechen, um weniger Privilegierte zu schützen.

konstruktivität

Wir setzen die Bereitschaft voraus sich zu öffnen, sich angreifbar zu machen und sich in Konflikten konsequent konstruktiv zu verhalten. Dies wird unterstützt von einer Kultur des Vertrauens. Nur in einer angstfreien Arbeitsatmosphäre schöpfen wir das gesamte Potential der Beteiligten aus.

augenhöhe

Wir kommunizieren gewaltfrei, achtsam und barrierefrei. Zuhören ist für uns aktiver Teil des Dialogs. Wir kultivieren echtes Interesse an den Lebens- und Arbeitsweisen anderer und begegnen uns gleichwürdig.

kulturkommunikations-

Wir etablieren Formate zum regelmässigen persönlichen Austausch und zur Verständigung über Arbeitsweisen. Wir bieten Raum für die Klärung von Krisensituationen, aber auch die Möglichkeit, Positives zu benennen und zu feiern. Wir geben allen Raum, gehört und wahrgenommen zu werden und trainieren unsere kommunikativen Fähigkeiten.

3. ZUSAMMENARBEIT

verbindlichkeit

Wir sagen Ja zur gemeinsamen Arbeit und der Zusammenarbeit als hierfür verbindliche Form. Wir thematisieren Erwartungen und überprüfen sie regelmässig. Wir pflegen eine verbindliche Beziehung zum Publikum. Wir arbeiten aktiv an und in den Strukturen und lassen unserem Denken und Sprechen Handlungen folgen.

belastbarkeit

Wir gewährleisten, dass das Arbeitspensum unseren Aufgaben und den tatsächlich vorhandenen Ressourcen entspricht und dass Regeneration möglich ist. Pausen werden in der Planung und Umsetzung konsequent beachtet. Geringere Belastbarkeit wird respektiert und berücksichtigt. Sie ist kein Ausschlusskriterium.

diversität

Wir wählen die Zusammensetzungen unserer Teams bewusst und setzen uns aktiv für die soziale und kulturelle Vielfalt in den darstellenden Künsten ein. Wir reflektieren Privilegien und Chancengleichheit auch bei der Frage, wer in unseren Arbeitskonstellationen welche Rollen übernimmt.

haltigkeitnach-

Wir gehen achtsam und nachhaltig mit unseren physischen, materiellen und psychischen Ressourcen um. Dazu gehört auch, bewährte Strukturen und Arbeitsweisen nach Möglichkeit in andere Arbeitszusammenhänge mitzunehmen. Künstlerische Arbeit bedeutet auch, nicht jeden Prozess mit einem Resultat zu beenden.

schätzungwert-

Wir leben und zeigen Wertschätzung für alle Arbeitsbereiche. Wir halten die Richtgagen der jeweiligen Berufsverbände ein und setzen uns für deren Erhaltung ein. Dazu gehört auch die Befolgung der Vorschriften zu Sozialabgaben. Wir anerkennen unterschiedliche Expertisen und Lebenserfahrungen: Jede Person steht für uns als Expert:in ihrer individuellen Perspektive, ihrer Kompetenzen und ihres Erfahrungsschatzes. Verantwortung verteilen wir nach Kompetenzen.

Wir, die Unterzeichnenden, wenden diesen Kodex in unserer täglichen Arbeit an. Die genannten Werte gelten für alle gleichermassen: Akteur:innen auf und neben der Bühne, für Personen in Produktion, Ausbildung und Förderung.

Wir bekennen uns öffentlich zum Kodex und hinterfragen unsere Handlungen und Arbeitsweisen in regelmässigen Abständen. Wir erklären uns bereit, kontinuierlich an uns und unseren Arbeitsstrukturen zu arbeiten. 

Der Kodex ist für uns ein lebendiges Werkzeug. Wir verpflichten uns deshalb, ihn regelmässig zu überprüfen, anzupassen und allenfalls zu erweitern. Die nächste Überarbeitung wird im Herbst 2022 in Angriff genommen.

Zürich, im August 2021