Diversität in den Darstellenden Künsten

In meiner Arbeit als Choreografin interessiert mich der Mensch. In seiner Vielschichtigkeit und Verletzbarkeit, seiner Individualität und Beziehung zu anderen. Dies möchte ich in meinen Stücken inszenieren und im Körper gespiegelt sehen. Mich bewegt die Frage: wer wird auf der Bühne repräsentiert, wessen Geschichte wird erzählt? Wer ist im Publikum, wer fühlt sich zu einer Vorstellung eingeladen? Ich suche danach, durch den Tanz das Mensch-Sein und die Gesellschaft zu reflektieren. Diese ist nicht homogen, sie ist durchmischt, divers und in stetem Wandel. Darum möchte ich eine Vielfalt an Menschen, an Körpern und an Perspektiven zeigen, sie soll und muss in der Kunst sichtbar sein.

Diversität ist das Schlagwort der Stunde und doch stehen wir noch immer am Anfang, um nachhaltige Strukturen für eine inklusive Gesellschaft und Zugang für alle zu Kunst und Kultur zu schaffen. Kulturelle Hintergründe, soziale Milieus und normative Gesellschaftsstrukturen definieren, wer Zugang hat zu Kultur, Theater und Tanz. Das Recht jedes Menschen auf Gleichbehandlung, Chancengleichheit und Teilhabe ist nicht umgesetzt. Viele Kulturinstitutionen im deutschsprachigen und europäischen Raum sind noch zu oft Bastionen einer kulturellen Elite, welche als gate keepers einer radikalen Veränderung entgegenwirken. Die Realität der freien Szene, welche mit starken Produktionen und einer neuen Generation von KünstlerInnen die Diversität von Körpern, Erfahrungshorizonten, sozialen und kulturellen Hintergründen, Gender oder sexueller Orientierung als Vielfalt der Gesellschaft feiert, steht im Gegensatz zu Institutionen, deren Strukturen den Status quo aufrechterhalten. ‘Nach außen hin geben sich Kunst- und Kulturinstitutionen gerne offen und tolerant. Legt man jedoch die Zahlen zu Diversität und Gleichstellung auf den Tisch, zeichnet sich schnell ein anderes Bild ab’. (Bühne-Magazin zum Bericht der European Theatre Convention (ETC) über Gender Equality and Diversity in European Theatres, März 2021). Unsere Privilegien, und damit schliesse auch ich mich mit ein, sind uns zu oft zu wenig bewusst undwerden reflexhaft verteidigt. Die Umsetzung von inklusiven und die Aufklärung über ausgrenzende Arbeitsstrukturen, welche Zugang und Diversität ermöglichen, wird zu oft auf diejenigen abgewälzt, welche ebendiese Barrieren alltäglich erfahren.

Für mich hat die Kunst und der Tanz die Möglichkeit, sowie den Auftrag, gewohnte Perspektiven und gesetzte Strukturen zu hinterfragen und Räume zu schaffen, in denen alternative und neue Sichtweisen und Modelle von Gesellschaft erprobt, erforscht und erfahren werden können. Diese Auseinandersetzung kann nur in einem inklusiven Kontext geführt werden, in dem unterschiedliche Körper und Erfahrungswelten zur Sprache kommen. Was für eine Gesellschaft wollen wir erschaffen? Wie wollen wir zusammenleben? Diese Fragen sind gerade jetzt, vor dem Hintergrund des Krieges u.a. in der Ukraine, Syrien, Afghanistan, Äthiopien oder Jemen und den internationalen Fluchtbewegungen dringlicher denn je. Jeder künstlerische Prozess ist auch ein sozialer Prozess. Die Kunst muss ein Ort unterschiedlicher Perspektiven sein, und nach ungewohnten, irritierenden und damit neuen Perspektiven suchen. Dies gelingt nur, wenn unsere eigenen Arbeits- und Produktionsstrukturen zugänglich gemacht werden, wenn KünstlerInnen, KooperationspartnerInnen und VeranstalterInnen Diversität nicht nur als nice to have verstehen, sondern radikal in der Praxis verankern. Rhetorik muss durch strukturellen Wandel ersetzt werden. Dies bedeutet, dass Zugang zu Ausbildung und Training geschaffen, sowie zugängliche Bewerbungsverfahren angeboten werden. Barrierefreiheit muss von der Kreationsphase einer Produktion an konzipiert und von den KünstlerInnen gemeinsam mit den VeranstalterInnen umgesetzt werden (access rider, access audit vor Ort, barrierefreie Kommunikation, Audiodeskription, relaxed performance Formate u.a). Kunstvermittlung und Outreach-Projekte für ein kunst- oder theaterfernes Publikum sollen als Teil einer künstlerischen Produktion verstanden und von den Häusern mitgetragen werden. Die Vergabe von Führungsrollen in kulturellen Institutionen muss Diversität und Geschlechtergleichheit als Leitbild begreifen. Es braucht Menschen mit vielfältigen Hintergründen und Erfahrungen auf Leitungsebene, welche ein Bewusstsein für Inklusion, Vermittlung und Teilhabe haben, Hierarchien und Handlungsmacht reflektieren, sowie offen für eine Mitgestaltung der KünstlerInnen sind. Dies verlangt Reflexion, Mut zu Veränderung, beharrliche Arbeit und nicht zuletzt ein (kultur-)politisches Engagement aller Beteiligter, um die nötigen Ressourcen bereitzustellen und systemisch ausgrenzende Strukturen nachhaltig zu verändern. Es erfordert sehr viel Austausch und einen kontinuierlichen Dialog.

Ich möchte Diversität, inklusive Arbeit und Teilhabe weder als Inhalt noch als Attribut einer künstlerischen Produktion denken, sondern als dessen Grundlage verstehen. Die darstellenden Künste und speziell der Tanz, der über den Körper Kommunikation, Verbindung und Identität ermöglicht, ist dazu geschaffen, dabei Vorreiter und role model für ein gemeinsames Lernen und neues Miteinander zu sein.

Zurück
Zurück

Danke Nadine!

Weiter
Weiter

Rassismus in den Kulturinstitutionen - Wenn Strukturen oder Machtfragen verändert werden müssen, kommen plötzlich die Gegenargumente.