Solidarische Kritik am Begriff «fair»


Die richtigen Worte finden – Ein bewussterer Umgang mit Begriffen und Sprache

Liebe:r Leser:in

Der folgende Text ist ein subjektiver Erfahrungsbericht und eine solidarische Kritik am Begriff «fair» – wie in FAIRSPEC.

In der Recherche zu meiner Masterthesis mit dem Titel «Antidiskriminatorische (Kunst-)Vermittlung denken», stiess ich auf den Blog von Noah Sow. Noah Sow ist Künstlerin, Musikerin, Autorin, Medienkritikerin, Produzentin, Wissenschaftlerin und Aktivistin. Im Jahr 2008 veröffentlichte sie ein Buch mit dem Titel «Deutschland Schwarz Weiß: Der alltägliche Rassismus», das in Deutschland zum Klassiker für die Lehre und Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus wurde. Auf ihrem Blog angelangt, sah ich mir zunächst eines ihrer online Seminare «Erfolgreich rassismuskritisch veranstalten» an. Das Seminar enthält ein Modul mit dem Fokus: «Titel, Thema, Zielgruppe». Darin erklärt Sow, dass die Vorsilbe anti- in Titeln für Veranstaltungen oder Veröffentlichungen eigentlich nichts zu suchen hat. Sie sagt:

Etwas wogegen ich bin, nimmt mich tendenziell aus der Verantwortung. Also etwas, wogegen ich bin, ist nicht mehr von mir selbst zu bearbeiten. Und das ist bequem. […] Denn Antidiskriminierungsarbeit kann sich eben nicht damit begnügen anti- zu sein und Rassismus zu verurteilen […] deshalb sind viele sehr vorsichtig und verteilen nicht so viel Vorschussglaubwürdigkeit wenn anti- oder gegen oder ohne behauptet und proklamiert wird.
— Noah Sow

Nebstdem ist mir in meiner Recherche vielerorts die anti- alternative Formulierung «diskriminierungs- kritisch» begegnet. Die Entscheidung, von «Diskriminierungs-kritik» anstelle von «Anti-Diskriminierung» zu sprechen, assoziierte ich mit Diskursen, die zum Beispiel den Begriff «Safer-Space» im Gegensatz zu «Safe- Space» stark machen, oder solche, in denen besprochen wird, ob weisse Personen überhaupt so etwas wie anti-rassistisch, oder eben «nur» rassismus-kritisch sein können. Ersteres bezieht sich auf die Annahme, dass der Begriff SafeSpace einen Ort/Raum/Moment meint, der absolut sicher (also diskriminierungsfrei) ist. Wenn hingegen von einem SaferSpace die Rede ist, wird mitgedacht, dass absolute Sicherheit (zumindest in der heutigen Gesellschaft) niemals gewährleistet werden kann und betont dadurch, dass es sich um ein (temporäres) Bemühen, Verantwortung zu übernehmen, und nicht um ein allumfassendes Versprechen handelt. Ebenso könnte die Bezeichnung anti-rassistisch einen Ist-Zustand beschreiben wollen, der so aber nicht existent, oder (fast) unmöglich zu erreichen ist. Denn Rassismus ist, wie die Lehrerin Regina Richter in ihrem Aufsatz «Kritisches Weisssein in der Bildungsarbeit – wie rassismuskritisch umgehen mit der eigenen Rolle als weisse Lehrperson?» schreibt:

[…] nicht nur ein individuelles Vorurteil oder die Einstellung einiger Rechter, sondern ein grundlegendes Ordnungsprinzip […] moderner Gesellschaften, eine Struktur, die alle Bereiche […] durchzieht und ungleiche Machtverhältnisse/Teilhabe sowohl produziert als auch legitimiert.
— Regina Richter

Das bedeutet, dass alle eingebunden sind in rassistische Strukturen und niemand komplett anti-rassistisch sein kann.

Diese umfassende Auseinandersetzung mit der Vorsilbe anti- machte mir deutlich, dass es bei diskriminierungskritischer Arbeit wesentlich ist, sich sorgfältig mit Worten und Sprache zu befassen. Sprache prägt das Denken (Ideologien) und produziert somit das, was von einer Gemeinschaft als «wahr»-genommen wird. Unreflektierte Sprache normalisiert demnach rassistische Begriffe der weiss dominierten Wissens- und Kulturproduktion und reproduziert dadurch weisse Vorherrschaft (White Supremacy).

Deshalb versuche ich seit anhin die Vorsilbe «anti-» zu vermeiden und benutze stattdessen die Nachsilbe «-kritisch». Ich begreife dieses Vorgehen als Ausdruck eines intersektionalen Ansatzes, der betonen will, dass es sich beim Einnehmen einer diskriminierungskritischen Perspektive und Praxis um einen nie abgeschlossenen Prozess handeln muss.

Ausserdem darf die kritische Position nicht versuchen, die (eigene) rassistische (diskriminierende) Sozialisierung, und die Tatsache, dass alle Menschen in Herrschafts- und/oder Differenzordnungen eingebunden sind, in denen sie dann jeweils Diskriminierung oder Privilegierung erfahren, zu negieren. Neben dem Begriff «anti» und seinem impliziten nicht einzuhaltenden Versprechen der (für sich) abgeschlossenen kritischen Haltung, gibt es viele Beispiele für diskriminierende Sprache, wovon einige wohl auch einer Mehrheitsgesellschaft direkter als diskriminierend auffallen, als der Begriff «anti» es vielleicht tut. So zum Beispiel wenn im deutschsprachigen Raum die Rede davon ist «schwarz» zu fahren, zu arbeiten oder zu malen.

Um diese problematische Übertragung christlicher Konnotationen von Schwarz (Verkörperung des Monströsen, des Teufels, der Unterwelt – und damit der Sünde und Schuld) und Weiss (Verkörperung des Reinen, Weisen, Göttlichen, Himmlischen – und damit der Vollkommenheit und Unschuld) auf das rassistische Konzept der «Hautfarbe» und der damit konstruiert in Verbindung gebrachten «guten» oder «schlechten» Eigenschaften von Menschen handelt es sich auch beim Begriff «fair».

Noah Sow veröffentlicht in ihrem Blogeintrag Warum «fair» problematisch ist folgenden Screenshot des populären englischen Wörterbuches Merriam- Webster (mit ergänzender deutscher Übersetzung):

Wörterbucheintrag zum Begriff «fair»
Wörterbucheintrag zum Begriff «fair»

Der Wörterbucheintrag zeigt, dass das Wort «fair» ursprünglich «nicht dunkel» bedeutete und weitgehend verwendet wurde, um hellen Teint zu beschreiben. Dass «fair» zugleich «angenehm von Äusserem oder Geist» bedeutet, veranschaulicht die Übertragung einer rassistischen Ideologie auf die Sprache. Die (sprachliche) Implikation, dass Teint und Eigenschaften voneinander abhängig seien, also die Behauptung, wer einen weissen (nicht dunklen) Teint habe, sei attraktiv und verhalte sich vorbildlich, wohingegen Menschen mit einem dunkeln Teint weniger oder nicht attraktiv wären und sich fehlerhaft verhielten, ist unverkennbar rassistisch. Somit ist es absolut problematisch, den Begriff «fair» als Synonym für beispielsweise gerecht, sich an die Regeln haltend, anständig, ehrenhaft, ethisch oder korrekt zu verwenden.

Besonders angesichts der Tatsache, dass auch heute noch Hautaufhellungsprodukte verkauft werden, die für «fair skin» sorgen und somit den Anwender:innen zum immer noch verbreiteten und diskriminierenden Schönheitsideal von hellem Teint verhelfen sollen.

«Fairness Cream» – Hautaufhellungsprodukt
«Fairness Cream» – Hautaufhellungsprodukt

Deshalb schlägt Noah Sow vor, auf den Anglizismus «fair» komplett zu verzichten und stattdessen immer ein deutsches Wort zu gebrauchen, welches das aussagt, was in dem Moment auch wirklich gesagt werden will. Als Alternativen zu «fair» nennt Noah Sow «gleichberechtigt» oder «ungerecht», oder im Sport: «Ganz ohne Blutgrätsche. Weiter so!»

Natürlich verändert die Verwendung von alternativen Begriffen nicht sofort strukturelle Bedingungen, oder verhilft im schlimmsten Fall sogar zum Vergessen und Vertuschen von gesellschaftlichen Verhältnissen. Durch den unreflektierten Gebrauch von rassistischer Sprache wird Diskriminierung jedoch andauernd reproduziert. Ausserdem ist die sorgfältige Auseinandersetzung mit Sprache und Begriffen eine Praxis, die das eigene Denken reflektiert, die Wahrnehmung schärft und dadurch eine bewusstere und diskriminierungsfreiere Sprache und also auch einen diskriminierungsfreieren Umgang mit den Mitmenschen ermöglicht.

Ich wünsche allen bei FAIRSPEC engagierten Personen eine anregende Diskussion zur Findung eines neuen Namens für das Kollektiv, das so enorm wichtige Arbeit leistet, bedanke mich für das Interesse an meinem Beitrag dazu und hoffe, ich konnte auch euch Leser:innen anregen, sich der (eigenen) Sprache und ihrem Wirken bewusst zu werden.

Herzliche Grüsse Milena


Replik des Initiativteams

Liebe Milena
Herzlichen Dank für deinen Hinweis und die Bereitschaft, einen Artikel zum Thema zu verfassen. Uns ist wichtig, die kritische Sichtweise auf den Begriff «fair» aufzunehmen. Wir stellen ihn – und damit auch den Namen Fairspec – zur Diskussion und freuen uns auf weitere Reaktionen zu dieser Frage. Im Kodex, der gerade entsteht, wird der Begriff «fair» schon mal sicher nicht auftauchen.

Herzlich
Susanne, Meret, Diana, Simone, Matthias, Nadine

Milena Sentobe

Milena Sentobe ist Kunstpädagogin und Künstlerin. In Zürich und Umgebung aufgewachsen, studierte Milena Sentobe an der Zürcher Hochschule der Künste Bildende Kunst (B.A., 2018) und begann direkt im Anschluss das StudiumKunstvermittlung im Master Art Education, welches sie im Februar 2021 abgeschlossen hat.

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